Ich wurde in einem Monat geboren,
in dem sich die Blätter allmählich färben.
Vielleicht ist das der Grund,
warum ich den Herbst von allen Jahreszeiten
am liebsten mag.
Ich liebe es, durch raschelndes Laub zu laufen
und es macht mir nichts aus,
wenn es vor der Tür oder auf dem Rasen liegt.
Manchmal schlage ich ein Buch auf,
eins, das ich lange nicht in der Hand hatte,
und finde zwischen zwei Seiten ein gepresstes
Ahorn- oder Buchenblatt,
das seit Jahren darin schlummert.
Eingeschult wurde ich mit fünf und ich erinnere mich,
dass ich Buchstaben von Anfang an
durchschaubarer fand als Zahlen.
Man kann so vieles aus ihnen machen.
Worte bilden zum Beispiel.
Sätze formulieren.
Kurze und lange,
komplizierte oder einfache.
Man kann sie aufschreiben und ändern, wenn sie einem nicht gefallen.
Auf Papier.
In den Sand.
In die Luft.
In frisch gefallenen Schnee.
Auf Papiertaschentücher,
wenn gerade nichts anderes zur Hand ist.
Durch ein einziges hinzugefügtes oder weggelassenes Wort
kann ein Satz an Kraft gewinnen oder auch verlieren.
Mit den richtigen Worten kann man Stimmungen erzeugen.
Sichtbar machen, was kein Auge sehen kann.
Worte sind Brücken.
Kleine Leuchtfeuer.
Pfeile, die ins Schwarze treffen.
Auch mal daneben.
Oder mitten ins Herz.
Sie erschaffen Geschichten, Briefe, Märchen, Erzählungen, Gedichte.
Neue.
Eigene.
Ich begann damit, als ich etwa dreizehn war.
Anfangs notierte ich sie auf kariertem Papier,
mit meinem Schulfüller oder mit Kuli,
alle Blätter beidseitig beschrieben.
Eins dieser Exemplare besitze ich noch heute,
achtunddreißig Seiten ist es lang
und es zu lesen bringt mich zum Schmunzeln,
aber ich verwahre es als eine Erinnerung,
die ich nicht vergessen möchte.
Später spendierten meine Eltern mir
eine knallrote mechanische Schreibmaschine
und dazu einen Kurs an der Volkshochschule.
Sicher hatten sie dabei weniger meine Lust am Schreiben im Auge
als mehr das Schaffen einer Grundlage für meine spätere berufliche Orientierung.
Der erste Liebeskummer brachte eine Flut von Gedichten,
die mir aus der Feder rannen wie Tinte aus einer undichten Patrone.
Gedichte wurden nie getippt.
Von meinem Taschengeld kaufte ich mir kleine Bücher dafür
mit hübschem Einband und Lesebändchen
und ich liebte es, sie zu füllen.
Ich habe sie alle aufgehoben.
In einem Schuhkarton.
Irgendwann brauchte es keinen Liebeskummer mehr,
um Gedichte zu schreiben,
aber eine besondere Stimmung hilft ungemein.
Ich kann mich nicht hinsetzen und etwas Lyrisches schreiben wollen.
Ein Gedicht findet seinen Weg immer zu mir,
niemals umgekehrt.
Nach zwölf Jahren schloss ich die Schule ab,
ließ mich zur Krankenschwester ausbilden und ging nach Köln,
um dort ein paar Jahre in einer orthopädischen Fachklinik zu arbeiten.
Als unser erster Sohn geboren wurde,
zogen mein Mann und ich zurück in unsere Heimat, den Westerwald,
wo unsere Kinder aufwuchsen,
das Schreiben aber viele Jahre brach lag.
Als ich im Jahr 2004 wieder damit begann
und dabei zusah,
wie sich Worte zu Zeilen,
Zeilen zu ganzen Abschnitten,
und Abschnitte zu Geschichten zusammenfügten,
war es,
als sei ein lange vermisster Freund
plötzlich wieder in meinem Leben aufgetaucht
und ich fragte mich, wo er all die Jahre war
und warum ich nicht gemerkt habe,
wie sehr er mir gefehlt hat.
Doch ich empfing ihn mit offenen Armen
und beschloss, ihn nicht mehr gehen zu lassen.
Von dem französischen Schriftsteller Marc Levy stammt das Zitat:
„Schreiben ist eine wunderbare Reise“.
Mir gefällt das.
Man schultert einen Rucksack mit Ideen,
öffnet Sinne und Herz,
macht sich auf den Weg
und betritt irgendwann,
ohne Karte, Kompass oder Streckenplanung,
ein Land, das zuvor nicht existierte.
Und man bleibt stehen,
sieht sich um,
entdeckt
und staunt
und fängt an
zu schreiben…
Fotos: Kristin Vogel